Hotellerie: „Man muss sich zuspitzen“

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Sehnsucht nach „Analogität“.
Der Gästetrend für jene, die den digitalen Sättigungspunkt bereits überschritten haben. Man geht offline in abgeschiedene Gegenden, sucht „Hideaways zum Abtauchen“ und Digital Detox. Typischer Vertreter: das Hotel Grafenast in Schwaz. Dort warten ungestörte Privatsphäre und pure Natur. Nicht zu verwechseln ist Digital Detox mit Schweigeseminaren in Klöstern. Diese stellen gerade um, auf Entgiftungs-Fastenseminare. Weil reden will man ja doch.
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Optimiertes Selbst.
Mit Yoga und Ayurveda fing es an. Das Larimar in Stegersbach etwa reüssiert bestens mit fernöstlicher Wellness, aber die Karawane zieht weiter. Ziel ist nicht mehr bloß Gesundheitserhaltung, sondern Selbstoptimierung. Die medizinische Komponente wird aufgewertet. Zu diesem neuen Hoteltypus mit ärztlicher Kompetenz auch für Gesunde gehört etwa der Lanserhof in Lans, der Kardiologie, Derma- und Schmerztherapie bietet. Andere setzen auf Ozontherapie oder elektromagnetische Wellen zur Bewusstseinsveränderung. Zielgruppe sind u. a. die Quantified-Self-Anhänger.
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„Neue Alte“.
Älterwerden wird nicht mehr verschämt versteckt, sondern genussvoll ausgelebt. Man ist bestens in Form, hat jede Menge Freizeit und genügend Geld in der Tasche. Das schafft Raum für Selbstentfaltung und individuelle Lebensstilmodelle, die der Hotellerie reife, aber lebensfrohe Kunden zuführen. Diese definiert sie nicht mehr über das Alter (Stichwort Seniorenreisen), sondern über Affinitäten: den 70-jährige Biker etwa über sein Hobby Radfahren.
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Zug statt Auto.
In der Schweiz reist ein volles Viertel aller Hotelgäste per Bahn an. In Österreich sind es erst zehn Prozent, mit steigender Tendenz: 2015 waren es erst sieben Prozent. Kitzbühel, Zell am See und Werfenweng setzen auf den Bahntrend und bieten direktes Umsteigen auf E-Autos am Bahnhof an. Ziel ist, dem Gast „die letzte Meile“ zu organisieren. Auch die ÖBB bieten etwa an den Hauptbahnhöfen Wien und Salzburg „Rail and Drive“ an.
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Pop-up-Stores im Ferienhotel.
Der Stanglwirt in Kitzbühel macht es vor: Im Winter verkaufen lokale Produzenten im Pop-up-Store in seinem Hotel Anoraks, im Sommer Schnäpse. Das stärkt die lokalen Netzwerke, hebt den Gesamtumsatz und unterstützt den nächsten Trend: den Einheimischen nahe zu sein.
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„Live like a local“.
Von Airbnb lasse sich viel abschauen, sagt Reisenzahn. Etwa das Bedürfnis, unter Einheimischen wie ein Einheimischer zu leben. Zell am See etwa erfreue sich dank Airbnb um acht Prozent mehr vermieteter Betten.
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Kooperationen mit Start-ups.
Ein bekannter Wintersportort, der nicht genannt werden will, lädt Start-ups ein, ein halbes Jahr bei ihm zu wohnen und Ideen rund um das Thema Sport zu entwickeln. „Runtastic wäre hier erfunden worden“, schwärmt Reisenzahn – wenn es Runtastic nicht schon gäbe. Symbiosen sind auch mit Coworking-Spaces denkbar.
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Landflucht.
Wer nach Österreich kommt, will in die Natur. Doch die Landbevölkerung zieht es in die Stadt, und auf dem Land ist zu wenig Personal verfügbar. Anregung für die Peripherie-Hotellerie: Warum nicht dort Landleben und Naturnähe simulieren?
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Chalet statt Bungalow.
Der letzte Schrei: In den Alpen entstehen gerade Dutzende Chaletdörfer, heimelig-luxuriöse Wohnvillen für Familien mit Stil und Geschmack. Reisenzahns klare Empfehlung: Nur eindeutig positionierte und spezialisierte Hotels behalten ihre Daseinsberechtigung: „Man muss sich zuspitzen.“
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.04.2018)

Artikel auf diepresse.com

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